Montag, 27. Februar 2012

Textanalyse der 'Türhüterparabel' in Kafkas Roman 'der Prozess'


Textanalyse: 'der Prozesss' , 'Türhüter-Parabel'

Im vorliegenden Textauszug wird ein Gespräch zwischen K. Und einem Geistlichen beschrieben. Die Beiden treffen sich in einem Dom, der Geistliche scheint auch zum Gericht zu gehören. In ihrem Gespräch erklärt der Geistliche K., dass er sich in dem Gericht täusche und erzählt ihm dazu eine Geschichte. Die Geschichte handelt von einem Mann, der bei einem Türhüter um Einlass in das Gesetz bittet. Er wird abgwiesen und wartet bis zu seinem Tod zu den Füßen des Türhüters. Er bittet immer wieder um Einlass, stellt jedoch die entscheidende Frage, warum er nicht eingelassen wird, nicht. Er befasst sich nur oberflächlich mit den Gründen und kommt nicht darauf, dass er selbst der Grund ist, aus dem ihm der Eintritt verwehrt wird.
Der Textauszug beginnt damit, dass K. Im Dom auf den Geistlichen trifft:“der Geistliche streckte ihm schon von einer oberen Stufe die Hand entgegen“(Z.1-2). Diese Geste des Geistlichen zeigt, dass er K. Deutlich überlegen ist. Außerdem bietet er K. Seine Hilfe an, er kommt ihm entgegen. Auffällig sind hier die räumlichen Verhältnisse, die durchaus symbolisch aufgefasst werden können:“sie gingen nebeneinander im dunklen Seitenschiff auf und ab.“(Z.4-5). Das 'dunkle Seitenschiff' spiegelt K.s inneren Zustand . Das Seitenschiff wirkt bedrückend und unheimlich- so wie auch der ganze Prozess auf K.wirkt.
Nachdem der Geistliche K.versichert, genug Zeit für ihn zu haben, reicht er ihm eine kleine Lampe. Auch das kann symbolisch aufgefasst werden: Das Licht der Lampe könnte für einen kleinen Hinweis stehen, den der Geistliche K.geben wird.
Ob K. Die Lampe annimmt wird nicht gesagt und bleibt ungewiss. Gewiss ist nur, dass er das 'Licht ' der Erzählung nicht aufgreifen wird. Das wiederrum spiegelt K.s Unsicherheit und Unentschlossenheit wider.
In dem Gespräch geht K.anfangs sehr offen auf den Geistlichen zu:“ich habe mehr Vertrauen zu dir als zu irgendjemand von ihnen(...)“(Z.7). Der Geistliche aber weist ihn in kargem Tonfall zurück:“Täusche dich nicht.“(Z.8). K.redet an dieser Stelle in viel längeren Sätzen als der Geistliche. Dadurch klingt K.verzweifelt und hilfesuchend aber auch nervös und unsicher.
Auf die Frage hin, worin er sich denn eigentlich täusche, antwortet der Geistliche in eindringlichem Tonfall:“in dem Gericht täuschst du dich.“(Z.8-9). Durch den inversiven Satzbau liegt die Betonung auf dem Gericht. Das unterstreicht, dass K.sich in dem entscheidenden Punkt täuscht. Außerdem wird das Wort 'täuschen' in verschiedenen Formen in Zeile 7-10 insgesamt viermal wiederholt. Das hebt K.s Fehleinschätzung des Gerichts noch stärker hervor und baut Spannung auf: dadurch, dass das Wort 'täuschen' sooft genannt wird, wird deutlich, dass es sich um eine bedeutsame Täuschung handelt. Worin genau diese Täuschung liegt, wird nicht gesagt.
Anschließend fängt der Geistliche an, K.die Geschichte des Mannes vom Lande zu erzählen, der bei dem Türhüter des Gesetzes den Eintritt in das Gesetz verlangt:“zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz“(Z.10-11). Die Bitte an sich klingt skurril: Ein Gesetz ist kein Gebäude, sondern ein ideeller Sachverhalt.In der Parabel wird der Begriff jedoch metaphorisch räumlich aufgefasst.
Die ersten Sätze der Geschichte sind schlichte, aneinander gereihte, parataktische Hauptsätze. Der Tonfall klingt lapidar und archaisch, was vor allem in den ersten Zeilen der Parabel auffällt:“Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz.Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.'Es ist möglich' sagte der Türhüter,'jetzt aber nicht'.“
Diese Formulierung erinnert an ein die eines alten Märchens.
Der Tonfall des Türhüters ist ähnlich apodiktisch, wie zuvor der des Geistlichen K. gegenüber:“(...)Merke aber: ich bin mächtig.“(Z.16). Der Türhüter erklärt dem Mann vom Lande, dass er ihm den Eintritt nicht gewähren könne, aber dass er ruhig versuchen könne, an ihm vorbei in das Gesetz zu gelangen. Er zählt darauf hin einige Gründe in fünf aneinandergereihten, parataktischen Sätzen auf, warum es zwecklos wäre, zu versuchen an ihm vorbei in das Gesetz zu gelangen:“wenn es dich so lockt, versuche es doch trotz meinem Verbot hinein zu gehen.Merke aber: ich bin mächtig.Und ich bin nur der untersteTürhüter.Von Sahl zu Sahl stehen aber Türhüter , einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nichteinmal ich mehr vertragen.“ Durch die Aneinandereihung dieser Sätze wirkt die Hürde, die der Mann vom Lande zum Eintritt in das Gesetz überwinden müsste, noch größer und unüberwindbarer.Der Türhüter schildert, dass er nur der unterste Türhüter wäre und im Gesetz noch viele weitere vorzufinden wären. Diese Undurchschaubare Hierarchie erinnert an das Gericht, mit dem Josef K. Zu tun hat.
Der Mann vom Lande beschließt, zu den Füßen des Türhüter solange zu warten bis er eingelassen würde. Wie m die lange Wartezeit zu verdeutlichen, werden jetzt unwichtige, belanglose Deitails über das Aussehen des Türhüter geschildert:“(...)seine große Spitznase,den langen, dünnen, tartarischen Bart(...)“(Z.20). Das Warten des Mannes wird außerdem sehr grotesk beschrieben(Z.22):“dort wartete er Tage und Jahre.“. Normalerweise würde man es so formulieren:“ dort wartete er Tage und Wochen.“. Der Sprung von einer kleinen Zeiteinheit wie 'Tage' zu einer großen wie 'Jahre' fällt auf und verstärkt das Gefühl, dass der Mann vom Lande einen Ewigkeit zu den Füßen des Türhüters zugebracht haben muss.
Während dieser langen Wartezeit, in der der Mann vom Lande unermüdlich immer wieder um Einlass bittet, vertreibt er sich die Zeit damit, den Türhüter ganz genau zu beobachten. Er fixiert sich nur noch auf diesen einen Türhüter und scheint sein ursprüngliches Ziel längst aus den Augen verloren zu haben. Dass er das Wesentliche nicht erkennt wird an der folgenden Textpassage hervorgehoben:“er wird kindisch und da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe ihm zu helfen(...).“ Der Mann vom Lande wird langsam alt und schwach. Im Kontrast zu ihm scheint derTürhüter eine zeitlose Figur zu sein und überhaupt nicht zu altern.
Auch wird der Türhüter viel größer als der Mann vom Lande beschrieben:“der Türhüter muss sich tief zu ihm hinunter neigen, denn die Größenunterschiede haben sich sehr zuungunsten des Mannes verändert.“(Z.41). Diese Metapher verdeutlicht die Unterlegenheit und Schwäche des Mannes dem Türhüter gegenüber.
Langsam kommt die Geschichte zu ihrem Ende. Der Mann vom Lande stirbt und kurz vor seinem Tod- als es schon zu spät für ihn ist-stellt er die Frage, die er all die Jahre längst hätte stellen
sollen:“ Alles streben doch nach dem Gesetz(...).Wie kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?“(Z.44). Der Türhüter antwortet eindringlich und in apodiktischem Tonfall:“hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt.Ich gehe jetzt und schließe ihn.“ Hier endet der vorliegende Textauszug.
Erzähltechnisch arbeitet die ganze Geschichte auf diese Pointe hin.
Auffällig ist, dass der Türhüter oft in direkter Rede zu dem Mann vom Landde spricht. Dieser jedoch nur ein einziges Mal, und zwar als er kurz vor seinem Tod die wichtige Frage stellt.
Das zeigt nochmals die Überlegenheit des Türhüters und die Bedeutungslosigkeit der Fragen des Mannes vom Lande bsi auf diese eine Letzte.
Ganz offensichtlich bezieht sich diese Geschichte auf die momentane Situation Josef K.s. Der Mann vom Lande stellt die entscheidende Frage erst, als es zu späht ist so wie auch K.sich nicht ernsthaft genug nach dem tieferen Sinn seines Prozesses fragt. Beide halten die äußeren Umstände für den Grund ihrer Probleme anstatt die Gründe in sich selbst zu suchen. Beide fixieren sich auf unwesentliche Dinge und gehen der Konfrontation mit ihren eigenen Fehlern aus dem Weg.
Der Geistliche wollte K.mit dieser Geschichte auf den Grund seiner Täuschung hinweisen und ihm helfen, den wahren Grund für seine Verhaftung herauszufinden.
Eine mögliche Deutung des Gerichtes in der Parabel ist, dass es symbolisch für ein Lebensgericht des Mannes vom Lande steht. Eine Parallele zu K.s Anklage: auch K.s Prozess könnte eine Art 'Lebensprozess' sein. Eine Anklage die aus K.s eigenem Gewissen stammt und ihm vorwirft, an seinem Leben vorbei zu leben und den wirklichen Sinn des Lebens zu verfehlen. Aber genau wie der Mann vom Lande in der Parabel, beschäftigt auch K. Sich nur oberflächlich mit den Gründen seiner Verhaftung. Stattdessen belügt er sich selbst, in dem er sich einredet, nicht zu wissen wofür er angeklagt wird. Ein zufriedenes Leben zu führen, bedeutet Verwantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen und zu seinen Sichtweisen zu stehen. Genau das macht K.nicht. Stattdessen scheint K. chronisch unzufrieden zu sein und nicht in der Lage Fehler bei sich zu suchen. Das dies der Grund für die merkwürdige Verhaftung sein könnte, scheint K.auch nachdem er die Parabel gehört hat nicht zu erkennen.
Ein eindeutige Klärung der Parabel wird jedoch hartnäckig verweigert. K.verhält sich hinterher sogar noch unsicherer als zuvor.

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